vom 16. Juni 2016
Antrag der AfD
"I. Der Landtag stellt fest, dass
1. die Schulsozialarbeit insbesondere vor dem Hintergrund der Drogenproblematik und der zunehmenden Gewaltvorfälle an Schulen, und zwar sowohl in der Schülerschaft als auch gegenüber Lehrkräften, besser ausgestattet werden muss, vor allem in der „sozialraumorientierten Schulsozialarbeit“, also an besonderen Brennpunktschulen."
Realität der Schulsozialarbeit in M-V
Ursachen für Drogenkonsum durch junge Menschen sind vielfältig, oft sehr individuell und bspw. nicht einfach mit der Cannabis-Legalisierung für Erwachsene (!) zu erklären. Das gefährlichste und am einfachsten zugängliche Suchtmittel in unserer Gesellschaft ist nach wie vor Alkohol. Auch und gerade weil Erwachsene so selbstverständlich Alkohol konsumieren.
Abhilfe beim Konsum von legalen und illegalen Drogen schaffen nicht Taschenkontrollen in Schulen, sondern die Betrachtung von Ursachen, gute Aufklärung über Gefahren und Abhängigkeitspotenzial verschiedener Suchtmittel schon für junge Kinder, eine gute Einbettung in das soziale Umfeld und das Schaffen von positiven Lebensperspektiven für junge Menschen.
„Die Zahl der Zwischenfälle mit Drogen und Alkohol an Mecklenburg-Vorpommerns Schulen nimmt seit Jahren zu. Wurden im Schuljahr 2016/17 noch 14 Fälle gemeldet, waren es im Schuljahr 2018/19 bereits 26 und im Schuljahr 2022/23 sogar 46. Im Schuljahr 2023/24 stieg die Zahl weiter auf 47 Vorfälle.“
Schulen sind Teil und Spiegel der Gesellschaft. Gesamtgesellschaftlich ist in den letzten Jahren eine Zunahme von Gewaltverherrlichung, Gewaltbereitschaft und Gewalttaten wahrzunehmen, auch und vor allem durch rechtsextreme Haltungen.
Wirksame Gewaltprävention umfasst u.a. die Stärkung sozialer Kompetenzen (gelingende Kommunikation, Konfliktlösung, Ambiguitätstoleranz) und die umfassende Partizipation junger Menschen an allen sie betreffenden Belangen.
Gemeldete Vorkommnisse in Zusammenhang mit Gewalt:
nachzulesen beim Landtag M-V.
Einen differenzierten Blick ins Thema bietet die Publikation
Zahlen - Daten - Fakten Jugendgewalt des Deutschen Jugendinstituts.
Eine Verstärkung von zeitlichen, finanziellen und personellen Ressourcen zur Sucht- und Gewaltprävention begrüßen wir immer - nicht nur an sogenannten Brennpunktschulen. Denn: „In vielen Bereichen agiert die Jugendhilfe heute sozialräumlich, d.h. sie konzentriert sich auf die Bedarfe in einzelnen Stadtteilen oder Dörfern. Dies gilt seit längerem nicht mehr nur für sogenannte soziale Brennpunkte oder Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf.“
Im Übrigen teilen wir diese begriffliche Einordnung:
„Der Begriff [Brennpunktschulen] findet häufig Anwendung, wenn wir Schulen mit hohem Migrationsanteil meinen. Das finde ich fatal, weil sich dann Schubladen auftun und wir rassistisch aufgeladene Debatten führen – auf dem Rücken von Kindern und Jugendlichen. Das gibt die eigentliche, differenzierte Situation vor Ort nicht wieder.“
"2. für den Fall der weiterlaufenden, aber in sich fragwürdigen Inklusionskampagne vermehrter sozialpädagogischer Aufwand zu erwarten ist, maßgeblich bei anstehender Schließung der Förderschulen Lernen und der damit verbundenen Übernahme von Förderschulklassen durch Regionalschulen, die ohnedies mit spezifischen Problemen ringen."
Inklusion ist ein Menschenrecht.
„Alle Menschen sind unterschiedlich. Inklusion bedeutet, die Gesellschaft so zu gestalten, dass alle mit all ihren Unterschieden gleichberechtigt mitmachen können. Ob beim Lernen, Arbeiten, in der Politik oder im Alltagsleben: Inklusion ist, wenn niemand ausgeschlossen wird.
[…] Inklusion ist ein menschenrechtliches Prinzip und ein wesentlicher Teil aller Menschenrechte. Der Anspruch auf Inklusion fußt auf der universellen Menschenwürde. Weil alle Menschen mit der gleichen Würde ausgestattet sind, haben alle die gleichen Rechte. Diese Rechte sind in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und vielen internationalen Menschenrechtsverträgen formuliert. Seit 2006 konkretisiert die UN-Behindertenrechtskonvention diese allgemeinen Menschenrechte aus der Perspektive von Menschen mit Behinderungen. Sie haben die gleichen Rechte und sollen die gleichen Möglichkeiten haben wie Menschen ohne Behinderungen – auch ganz praktisch im Alltag.“
"3. die als vermeintliche „Vielfalt“ allzu positiv konnotierte und durch den politisch forcierten Zuzug von Migranten gewachsene Heterogenität der Schülerschaft zu verschärften Differenzen und Konfrontationen führt – nicht nur, aber auch bedingt durch sich verstetigende kulturelle und religiöse Unterschiede und Konflikte, von denen Schulsozialarbeit stark gefordert wird."
Gesellschaftliche Vielfalt ist ein nicht wegzudiskutierender Fakt und eine wertvolle Ressource. Schulsozialarbeitende respektieren die Unterschiedlichkeit von Menschen und wertschätzen die zahlreichen positiven Aspekte einer vielfältigen Schulgemeinschaft.
Mit den Schlagwörtern „vermeintliche ‚Vielfalt‘“ und „politisch forcierten Zuzug von Migranten“ untermauert die AfD nur die Einstufung der Partei durch den Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch.
Ein Beispiel für die positiven Aspekte von Vielfalt, hier aus wirtschaftspolitischer Perspektive:
„Migration und kulturelle Vielfalt können für die aufnehmende Gesellschaft große Vorteile und Chancen bieten. Zuwanderung nach Deutschland bedeutet nicht nur die Migration von Menschen, sondern auch das Einbringen unterschiedlicher Erfahrungen und Hintergründe. [Zugewanderte Menschen] haben andere Fähigkeiten und neue Ideen zum Umgang mit bestehenden Herausforderungen und Problemen. Dadurch kann Migration die Produktivität erhöhen, Innovation begünstigen und zu Wirtschaftswachstum beitragen. Zuwanderung liefert aber auch einen wichtigen Beitrag, um wesentliche ökonomische und soziale Probleme wie die negativen Folgen des demografischen Wandels abzumildern.“
"4. die über diverse Quellen erfolgende Mischfinanzierung der Schulsozialarbeit gerade in Anbetracht des geplanten Ausbaus der Ganztagsschulen nicht mehr ausreichend ist und vor allem die Kostenteilung zwischen der EU (Europäischer Sozialfonds bzw. Europäischer Sozialfonds +) und den Kommunen nur über eine zusätzliche Finanzierung aus Landesmitteln stabilisiert werden kann."
Die angesprochenen Quellen für die Finanzierung der Schulsozialarbeit lassen sich klar benennen:
„Die Jugend- und Schulsozialarbeit ist eine bundesgesetzlich festgeschriebene Pflichtaufgabe der kommunalen Ebene im Rahmen der Jugendhilfe. Das Land unterstützt sie dabei aufgrund der großen Bedeutung des Themas. In den kommenden sieben Jahren (2023 bis 2029) unterstützt das Land Mecklenburg-Vorpommern mit insgesamt über 96 Millionen Euro. Das Sozialministerium fördert aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds+ (ESF+) und Landesmitteln die Personalausgaben für die pädagogischen Fachkräfte. […]
Zur Förderung der Schulsozialarbeit stellt das Land den Kommunen in den kommenden sieben Jahren ESF+-Mittel in Höhe von 64,2 Millionen Euro bereit und damit deutlich mehr als in der vorangegangenen Förderperiode.
Zur Förderung der sogenannten sozialraumorientierten Schulsozialarbeit sind darüber hinaus weitere ESF+-Mittel in Höhe von 6,25 Millionen Euro vorgesehen.“
Wie sich die Weiterentwicklung des ganztägigen Lernens auf die Schulsozialarbeit auswirken wird, muss erst noch evaluiert werden.
Unsere Forderung nach einem aus Landesmitteln finanzierten Landesprogramm Schulsozialarbeit halten wir unabhängig davon aufrecht.
"5. eine inhaltlich überarbeitete und straffer auf dringliche Notwendigkeiten, etwa die Drogen- und Gewaltprävention, ausgerichtete Schulsozialarbeit erfolgen muss, in Konzentration auf besonders schwierige Schulen sowie auf hauptsächliche Problemfelder – in der Weise, dass konkret praxisrelevanten Aufgaben der Vorzug vor solchen eher politischer oder gar ideologischer Ausrichtung zukommt, insbesondere der schulischen Berufsorientierung, der Unterstützung in schwierigen Lebenslagen und in diversen Krisensituationen, wie sie in der Gesellschaft und in den Familien beträchtlich an Bedeutung zugenommen haben."
Schulsozialarbeit ist bereits genau das: ausgerichtet auf die aktuellen und drängendsten Bedarfe junger Menschen.
Die konkreten Tätigkeiten von Schulsozialarbeiter:innen orientieren sich an den jeweiligen Bedarfen der Klient:innen zu einem bestimmten Zeitpunkt, sind abhängig von den vorhandenen Bedingungen in den Schulen sowie von den Zielen, Erwartungen und Ressourcen der jeweiligen Prozessbeteiligten.
Ranking bedeutsamer Themen laut einer aktuellen Befragung Schulsozialarbeitender durch die Hochschule Neubrandenburg:
1. Soziale Kompetenzen
2. Familiäre Probleme bei Kindern/Jugendlichen
3. Konflikte zwischen Kindern/Jugendlichen
4. Mobbing durch Kinder/Jugendliche
5. Psychische Probleme/Störungen bei Kindern/Jugendlichen
6. Cybermobbing durch Kinder/Jugendliche
7. Schulische Leistungsüberforderung
8. Schulverweigerung
9. Gewalthandlungen durch Kinder/Jugendliche
10. Konflikte zwischen Schüler:innen und Lehrer:innen
"II. Die Landesregierung wird aufgefordert,
1. in Abstimmung mit den Kommunen und Landkreisen eine so genaue wie generelle Revision der Schulsozialarbeit vorzunehmen – inhaltlich, finanziell und zur Sicherung einer stabilen Perspektive mit dem Ergebnis einer den dringenden Erfordernissen angepassten, also grundsätzlich veränderten, Aufgabenstellung, die perspektivisch über das Schulgesetz sicherzustellen ist und somit als Landesaufgabe betrachtet wird.
2. die Schulsozialarbeit nach klaren Prioritäten und schulpraktischer Relevanz auszurichten, wobei den Aufgabenfeldern der Gewalt- und Drogenprävention, der wertebildenden Erziehung zum Respekt, zur Leistungsorientierung und Eigenverantwortung sowie zur Vermeidung von Schulversagen, der Förderung der Berufsorientierung und der Erweiterung sportlicher Möglichkeiten der Vorzug zu gewähren ist.
3. zu gewährleisten, dass parteipolitisch oder ideologisch intendierte Vorhaben bisheriger Schulsoziarbeit [sic!] zugunsten ihrer eigentlichen Aufgaben klar herauszuhalten sind."
Eine Revision vorzunehmen, bei der das Ergebnis vorab feststeht, ergibt keinen Sinn. Das sei nebenbei erwähnt.
Die AfD scheint eine Doppelstrategie zu verfolgen, indem sie Schulsozialarbeit als notwendig anerkennt, aber gleichzeitig deren Funktion umdeutet. Die Absicht hinter dieser Strategie ist offenbar politische Kontrolle.
Schulsozialarbeit wird von einem partizipationsorientierten Hilfesystem zu einer staatlich gelenkten Erziehungsmaßnahme uminterpretiert.
Dadurch sind die Unabhängigkeit und die fachliche Integrität der Schulsozialarbeit gefährdet!
Die AfD versucht ein gesellschaftliches Umfeld zu schaffen, in dem die Prinzipien von Schulsozialarbeit (Freiwilligkeit, Vertrauen, Transparenz, Partizipation, Ganzheitlichkeit, Achtung der Kinderrechte, Kultur- und Geschlechtersensibilität) diskreditiert werden.
Schulsozialarbeit soll aus der Jugendhilfe herausgelöst und dem Schulgesetz unterstellt werden. Der Fokus soll auf Ordnung, Disziplin und Leistung liegen.
Das würde die präventiven und unterstützenden Aspekte der Schulsozialarbeit enorm einschränken.
Demokratische Politiker:innen auf allen Ebenen, die Träger der Kinder- und Jugendhilfe sowie alle an Schule Beteiligten sind gefordert, sich gegen diese Entwicklungen zu positionieren und die Unabhängigkeit der Schulsozialarbeit zu verteidigen!
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